Ein Liebesbrief

Ich nenne sie gern „Dicke“ oder „Tussi“. Ich bin kein Mensch, der niedliche Kosenamen verteilt – ich verstecke meine tiefe Liebe in diesen neckenden Worten. Sie versteht sie ja eh nicht, und ich möchte meinem Umfeld nicht die Blöße geben, wie viel mir dieses Pferde bedeutet.
Es ist ja nur ein Pferd. Ein großes Tier mit vier Hufen, auf dem du reiten kannst. Außerdem sieht sie komisch aus, mit ihrem rosa Krötenmaul und den umrandeten Augen. Das habe ich vor zwei Jahren auch noch gedacht, als sie bei mir einzog.


Dann hat sie mein Herz erobert. Ganz leise, denn sie ist anders als die anderen. Sie ist ein großer Trampel, wenn du nicht aufpasst. Sie rempelt mit der Schulter, tritt dir in die Hacken und schubst dich. Das alles tut sie nur, um dich zu testen. Sie will deinen Respekt, möchte gesehen werden. Dieses Pferd hat eine so starke Persönlichkeit, dass es mich jeden Tag umhaut. Als sie mich die ersten Male testete, wurde ich laut und energisch. Jeden Tag wurden die Gesten ein bisschen kleiner und ruhiger, bis wir heute völlig vertraut auf kleinste Zeichen miteinander kommunizieren. Sie ist kein Zinnsoldat, sagt auch gern mal „Nein“, wenn ich eine Übung abfrage. Testet, wie sicher ich mir bin, dass ich sie führen kann. Jedes mal nehme ich ihren Test mit einem Lächeln, denn ich weiß, dass sie recht hat.


Sie war körperlich angeschlagen, aber heute ist sie so fit, dass sie mit Freude und Energie schwere Übungen absolviert. Traversalen, Vor- und Hinterhandwendung, Rückwärts, Stoppen aus hohem Tempo, unter dem Reiter oder an der Hand – nichts erinnert mehr an das Pferd, das mit Muskelblockaden und Lymphstau zu mir kam. Ganz fein erkennt sie Gewichtsverlagerungen und Schenkelhilfen, dehnt sich in die Tiefe oder wölbt sich unter mir auf. Natürlich sind wir noch lange nicht fertig mit ihrer Ausbildung, denn sie zeigt mir täglich, wie viel Potential noch in ihr schlummert.


Sobald ich den Stall betrete schaut sie mir erwartungsvoll mit gespitzten Ohren entgegen. Bedankt sich für jede Zuneigung mit einem Schnauben. Pustet mir in den Nacken und sucht meine Nähe. Selbst der Sattel, ihr erklärter Feind, hat seinen Schrecken verloren.


Liebe Suri, ich danke dir. Du zeigst mir, wenn ich nicht gut genug bin. Zeigst mir, dass ich besser zuhören muss, wenn ich auf ein Pferd zugehe. Dass ihr eine so feine, zarte Seele habt, die erst hinter der harten Schale gesucht werden muss.

Du rührst mich zu Tränen, wenn du mit Feuereifer versuchst, meine Signale zu entschlüsseln. Wir sind für einander die Lehrmeister einer fremden Sprache. Du bist geduldig, verständnisvoll und nachgiebig.

So will ich auch sein, meine geliebte Tussi.

 

 

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2 Kommentare zu Ein Liebesbrief

  1. Liebe Akki, so einen Liebesbrief habe ich auch schon in meinem Herzen herumliegen, demnächst werde ich ihn abtippen – danke für die wunderschöne Idee und deine Aktion. Ich habe exakt drei Kosenamen, die sich von alleine ergeben haben. „Meine Kleine“, „Maus“ und „Madame“ – je nach Stimmungslage 😉 Maus war keine Absicht und ist auch ein bisschen uncool, aber irgendwie rutscht es immer wieder so aus mir raus. Egal, welcher Name gerade en vogue ist: ich kann immer sicher sagen – ich liebe mein Pferd. Sie ist das Beste, was mir passieren konnte und ich bin sehr glücklich, dass sie in meinem Leben ist. Ganz liebe Grüße, Petra

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