Unsichere Pferde im Training: Raffi und Charly
In diesem Jahr hatte ich ein ganz besonderes Pferd-Mensch-Paar bei mir im Training: Charly & Raffi
Raffi kam zu Beginn des Sommers zu mir. Charly, seine damals noch 15jährige Besitzerin, bekam ihn als ihr erstes Pferd nach einer langen Reitschul-Karriere. Der 10jährige Spanier war alles andere als ein Anfängerpferd. Was beim Probereiten noch gut klappt, wurde zu Hause zum Desaster:
Raffi ließ sich nicht sicher reiten. Er hatte Angst vor dem Reiter auf seinem Rücken. Bei der kleinsten Bewegung scheute er und begann panisch loszulaufen, bis Charly sich unsanft von seinem Rücken verabschieden musste. Charly probierte es mit einem Trainer bei sich am Stall immer wieder, doch das Reiten mit Raffi wurde immer gefährlicher. Dabei ist der kleine Schimmel im Umgang ein absoluter Traum. Er lässt sich frei putzen, schmust gerne und ist ein absolutes Kuschelpferd.
Kurz darauf landeten die Beiden bei mir. Wir planten einen Aufenthalt von 4 Monaten, da Raffi sehr dünn war und kaum Muskulatur besaß. Ich hatte also sowohl ein Aufbauprogramm als auch die Wiederholung der Basis-Reitausbildung vor mir.
Raffi lernte schnell. Er ist ein absoluter Streber und will immer alles richtig machen. Die Ausbildung am Boden war mit ihm ein großer Spaß, er fand schnell Gefallen an Seitengängen und der Arbeit an der Longe. Nach einigen Wochen hatte er so viel Vertrauen gefasst, dass wir uns an den Sattel wagten.
Die Arbeit unter dem Sattel erforderte viel Fingerspitzengefühl und Zeit. Nur mit Ruhe und Gedult konnte ich dem kleinen Spanier erklären, dass das Aufsteigen nicht gefährlich ist. Immer wieder stieg ich von der Aufstieghilfe auf seinen Rücken und wieder ab, tagelang, bis er sich dabei entspannen konnte. Wir übten als erstes das sichere Stoppen über die laterale Biegung (der sogenannte Notstop), um für Pferd und Reiter Sicherheit zu finden. Dann kamen Vor- und Hinterhandwendungen, Schenkelweichen und Stangenarbeit, um mehr Kraft aufzubauen. Im Schritt und Trab machte Raffi gute Fortschritte und war fleißig bei der Sache.
Dann kam die Galopparbeit. Hier lag unsere große Herausforderung, denn Raffi empfand den Galopp mit Reiter als unsicher und gefährlich. Er hüpfte wie ein Hase und fand keinen richtigen Takt, vor allem am langen Zügel nicht. So passte ich meine Arbeitsweise an ihn an und ritt ihn mit mehr Zügelkontakt. Wie ein Kind an der Hand fasste Raffi so Vertrauen in den Reiter – ich hatte das selbst kaum für möglich gehalten. Doch nach einigen Wochen konnte Raffi mehrere Galoppsprünge mit mir auf seinem Rücken halten. Keine Frage, das war keine große Schule, denn ihm fehlt noch immer die Kraft für einen langen Galopp, doch er bemühte sich.
Seine junge Besitzerin Charly war immer wieder vor Ort und verbrachte sogar eine Woche in den Ferien bei uns auf dem Hof. Sie arbeitete viel mit Raffi vom Boden und stieg unter meiner Aufsicht auch in den Sattel.
Kurz vor seiner geplanten Heimkehr passierte das Unerwartete: Charly stürzte in einem unbedachten Moment vom Pferd. Sie saß am langen Zügel stehend auf Raffi, als der etwas sah und einen Schritt zur Seite hüpfte. Es war völlig unspektakulär, aber dieser Sturz erschütterte Raffis Vertrauen in den Reiter zutiefst. Er fiel zurück in den Zustand, den wir vor Wochen überwunden zu haben glaubten: Er lief panisch los, konnte nicht mehr galoppieren und hatte Angst vor den schnellen Gangarten mit und ohne Reiter.
Die plötzliche extreme Verschlechterung seines Zustands hat mich wirklich schockiert. Ich war sogar soweit, Charly und ihren Eltern nahezulegen, dass dieses Pferd vielleicht doch nicht zu ihnen passte. Ein so unsicheres Pferd und eine 15-Jährige – wollte ich das verantworten? Wir entschieden gemeinsam, dass Raffi noch einen weiteren Monat bei mir bleibt.
Die weitere Arbeit mit Raffi bestand tagelang aus Desensibilisierung. Ich band alles was ich fand an den Sattel, damit Raffi sich an jegliche Geräusche, Gefühle und Bewegungen in diesem Bereich gewöhnt. Ich habe noch nie ein Pferd so ausgiebig desensibilisiert wie diesen Schimmel. Ich wollte unbedingt, dass er sich fängt und bei Charly bleiben kann…
… und habe das auch geschafft! Nach 5 Monaten zog Raffi in sein neues Zuhause. Charly schickt mir regelmäßig Reitvideos, so dass ich ihre Fortschritte verfolgen kann. Ich bin mega stolz auf die Beiden! Sie haben sich in diesen 5 Monaten extrem entwickelt und sind ein ganz tolles Team geworden!
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