Vereinigungen, Sport und Tierschutz – passt das überhaupt zusammen?
In den Netzwerken wird, vor allem zu Zeiten der großen, im TV übertragenen Turniere, über Tierschutz und Tierquälerei diskutiert. Da werden Pferde auf dem Abreitplatz mit Rollkur gequält, um in der Prüfung besser abzuschneiden. Die meisten Menschen sehen die eleganten Tiere, wie sie über den Platz schweben oder über Hindernisse fliegen. Viele von uns sehen genauer hin: dann erkennen wir zu eng geschnürte Kopfstücke, die die Atmung behindern; Gebissstücke, die die Zunge blockieren, damit diese nicht aus dem Maul sichtbar ist und eine harte Reiterhand verrät; Sporen, die in Pferderippen gedrückt werden, um noch mehr Schwung und hoch geschmissene Pferdebeine zu provozieren. Auch werden vielfach verbotene Substanzen genutzt, wie z.B. Kernseife im Pferdemaul, damit die Richter das Knirschen der Zähne unzufriedener Pferde nicht hören. Oder bei Hengstschauen werden – vor allem im europäischen Ausland – chilihaltige Substanzen unter den Schweif geschmiert, damit das Pferd durch das Brennen den Schweif hoch trägt.
Diese ekelhaften Taten, bei denen ich mich nur schütteln kann, sind Menschen eingefallen, die sich anders nicht zu helfen wussten. Ein guter Trainer kann einem so sanften und freundlichen Wesen wie dem Pferd mit Ruhe und Ausdauer fast alles beibringen, ohne zu fiesen und ekligen Hilfsmitteln zu greifen. Aber oft geht es um Geld, und dann muss es schnell gehen – ist doch egal, wenn es den Pferden dabei schlecht geht?
Hinter den Turnieren, bei denen Trainer, Hersteller und Züchter ihr Geld verdienen und ihre „Produkte“ anpreisen, stehen die Vereinigungen. Im englischen Reitstil in Deutschland ist das die FN, die Deutsche Reiterliche Vereinigung (Fédération Équestre Nationale) in Warendorf. Sie ist der Dachverband aller Züchter, Reiter, Fahrer und Voltigierer sowie der Vereine in Deutschland. Dieser große Bundesverband regelt nicht nur die Organisation und das Regelwerk von Turnieren, sondern auch die Aus- und Weiterbildung von Reitern und ist Ansprechpartner für alle Fragen, die zum Thema Pferd entstehen können. Ihr seht: die FN ist ein Riese, ein Verein, der unglaubliche Macht hat und unfassbar viele Menschen erreichen kann.
Ab und zu gibt es Menschen, die nicht einverstanden sind mit den Vorgaben der FN. Die FN hat zum Beispiel die abgeschwächte Form der Rollkur, genannt LDR (Low-Deep-Round) für eine bestimmte Minutenanzahl im Training erlaubt. Tierschützer sagen aber, wenn ein Lebewesen geknebelt und ihm die Luft abgedrückt wird, ist das auch Quälerei, wenn es nur wenige Minuten passiert und sollte komplett verboten werden.
Eine dieser Menschen ist Frau Dr. Tönnies. Sie ist praktizierende Tierärztin für Kleintiere, die Pferde sind ihr Hobby. Trotzdem kennt sie sich natürlich mit der Anatomie und dem Verhalten von Pferden aus. Sie war Anfang September 2015 Jurymitglied beim Bundeschampionat in Warendorf, bei dem vor Ort den Tierschutzpreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vergeben wurde. Da ihr bei dieser Veranstaltung viele Dinge aufgefallen sind, die ihr widerstreben, hat sie einen offenen Brief an die FN geschrieben. Sie prangert viele Missstände an, unter anderem zu enge Sperrriemen und sogar Zungenstrecker (besonders erschreckend, da es sich um Jungpferde, also gerade in der Ausbildung befindliche Pferde handelte). Frau Dr. Tönnies spricht diese Missstände offen an, um ein Umdenken zu erzwingen. Ihr Ziel ist ein tiergerechterer Umgang mit dem Pferd, wie sie in einem Interview mit der Pferde Connection nochmal betont:
Nun hat die FN, der oft so träge Riese, geantwortet. Das Antwortschreiben findet ihr auf der Seite der St. Georg. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, bin ich froh, dass diese Debatte nun öffentlich ausgefochten wird.
Denn: Wie sollte die breite Öffentlichkeit erfahren, dass bei Bundeschampionaten Hilfsmittel wie z.B. Zungenstrecker erlaubt sind? Vor allem, weil anscheinend viele Menschen glauben, dass diese „Hilfsmittel“ normal und harmlos sind?
Wie man es dreht und wendet, ich komme mit meinen Gedanken immer zum gleichen Ziel: Die meisten Menschen haben niemanden, der ihnen als echter „Pferdemensch“ bei Problemen mit ihrem Pferd kompetent zur Seite steht. Dann wenden sie sich an Menschen, die, wie in dem aktuellen Beispiel, im Pferdesport aktiv sind und dort ausgezeichnet werden. Damit landen die Hilfesuchenden direkt bei Menschen, die anscheinend ohne mit der Wimper zu zucken Hilfsmittel verwenden, anstelle auf das Lebewesen Pferd einzugehen, seine Bedürfnisse zu erkennen und die Ursache für ein Fehlverhalten bekämpfen. Eben genau diese, die von Frau Dr. Tönnies offen angeklagt werden. Und die von dem großen Riesen FN unterstützt werden. Denn die FN ist kein Tierschutzverein, sondern ein Unternehmen.
Größe ist nicht immer gut. Das erlebe ich Tag für Tag bei meinem Bürojob. Je größer ein Unternehmen, desto starrer sein Verhalten und desto mehr werden Einzelbetrachtungen über einen Kamm geschoren. Doch wenn dann ein kleines Wesen, wie z.B. diesmal Frau Dr. Tönnies, ihre Meinung kundtut und sich den Mund nicht verbieten lässt, muss auch ein Riese handeln.
Liebe FN, so viele Reiterinnen und Reiter in Deutschland haben nur eine Bitte: denkt mehr an die Pferde, weniger an den Profit. Wie zu Beginn des Beitrags bereits festgehalten, könnt ihr so viele Menschen erreichen. Sprecht weniger Bürokraten-Deutsch, redet mehr von Mensch zu Mensch. Seid ein Vorreiter Pro Pferd. Löst euch aus dem starren Gebilde, in das ihr euch selbst verwandelt habt. Und verbietet endlich alle Hilfsmittel, die nichts am Pferd zu suchen haben. Je weniger Material erlaubt ist, desto besser. Denn ein richtiger Reiter braucht weder eine Trense noch Sporen, um sich mit seinem Partner Pferd elegant durch eine Prüfung bewegen zu können. Ein richtiger Reiter braucht nur eins: Vertrauen und Respekt.
Noch mehr Meinungen und Informationen findet ihr in einem Artikel der „Welt“.
Auch das Fachmagazin „Feine Hilfen“ hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und den Artikel „Tierschutz im Pferdesport“ veröffentlicht.
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