Wegschicken vs. Scheuchen: Was ist gemeint?

Heute bekam ich eine liebe Mail von meiner Leserin Susi. Sie kauft sich gerade ihr erstes Pferd und beschäftigt sich intensiv mit Bodenarbeit. Mich hat besonders gefreut, dass sie Fü(h)rPferd sehr hilfreich und spannend findet! Sie stellt sich aber eine Frage: Was ist mit „Wegschicken“ gemeint? Diese Frage möchte ich gern beantworten.

In vielen meiner Artikel beschreibe ich Übungen, in denen das Pferd „weggeschickt“ wird, bevor die eigentliche Übung beginnt. Immer wieder wird betont, dass das Pferd nicht gescheucht werden soll. Wie kann ich denn ein Pferd höflich wegschicken?

Das Bild in der Menschenwelt: Unterwegs mit einem Freund

Stellt euch folgendes vor: Ihr seid mit einem Freund unterwegs und es ist sehr, sehr laut um euch herum. Ihr wollt eurem Freund sagen, er soll nach rechts gehen, denn dort wollt ihr eigentlich hin. Was tut ihr? Eine Möglichkeit wäre, den Freund einfach in die gewünschte Richtung zu schubsen und zu drängeln. Dabei fuchtelt ihr wild mit den Armen und tretet vielleicht sogar nach ihm, damit er schneller geht. Dann kommt ihr zwar da an, wo ihr hinwollt, aber euer Freund wäre wahrscheinlich sehr verwirrt und sauer, warum ihr plötzlich so grob seid. Eine andere Möglichkeit ist, ihm die Richtung zu weisen, indem ihr in die Richtung zeigt und Zeichen macht, damit er vorgeht. So kommuniziert ihr höflich, ohne zu schubsen, und erreicht euer Ziel.

Genauso verläuft das „Wegschicken“ mit dem Pferd. Nur müssen wir hier noch die Sprachbarriere überwinden, denn euer Pferd kann eure Körpersprache noch nicht so gut entziffern wie euer Freund, der ja die gleiche Körpersprache „spricht“.

Wie ich mein Pferd wegschicke

Wenn mein Pferd nun neben mir steht, weise ich ihm als erstes mit einer Hand die Richtung, in die es gehen soll. Ich zeige also nach rechts. Dann drehe ich meinen Körper hinter das Pferd, um dort den Weg zu verschließen. Mein Pferd erkennt an meiner Ausrichtung, dass nur der Weg nach rechts „offen“ ist.

Um mein Pferd nun zum Losgehen zu motivieren, nutze ich wieder meine Druckstufen. Als erstes atme ich tief ein, um Spannung in meinem Körper zu erzeugen. Dann lehne ich mich vor, laufe aber nicht, denn das Pferd soll sich ja bewegen, nicht ich. Das Vorlehnen dient dazu, den Raum des Pferdes weiter zu begrenzen. Wenn mein Pferd bereits am Seil gut geschult ist, weiß es, dass es mir den Raum freimachen muss, und weicht. Als nächstes kann ich entweder mit einem Laut, z.B. Schnalzen, zur Bewegung auffordern. Oder ich hebe den Stick leicht an und weise damit hinter das Pferd. Dann läuft mein Pferd los.

Nochmal die Stufen:

  1. Einatmen und Spannung aufbauen („Jetzt passiert etwas, aufpassen!“
  2. Vorlehnen, um den Raum einzunehmen
  3. Schnalzen, um Bewegung zu erklären
  4. Stick heben und hinter den Schweif weisen für noch mehr Druck.

Wenn mein Pferd nun losläuft und dabei in meinen Raum rennt oder mich sogar anrempelt, hebe ich den Stick in Richtung der Pferdeschulter und verteidige so meinen Raum. So lernt das Pferd, dass es nicht gegen mich rempeln darf, sondern von mir wegtreten soll. Dabei kann ich das Pferd sogar leicht antippen, falls es nicht weicht, und den Druck stufenweise erhöhen.

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Wo ist der Unterschied zum Scheuchen?

Das ist ganz einfach. Beim Scheuchen nehme ich nicht gezielt Raum ein, sondern übe so lange Druck auf das Pferd aus, bis es wegläuft. Dabei habe ich aber keine Kontrolle über Richtung oder Tempo des Pferdes, sondern nutze den Fluchtinstinkt. Dieser bewirkt, dass mein Pferd sich  schnell entfernt, aber ich kann damit seine Aufmerksamkeit nicht bei mir behalten. Ich dränge es eher dazu, von mir wegzudenken, als zu mir hin. Beim „Wegschicken“ verlange ich aber, dass mein Pferd weiterhin aufmerksam zuhört. Denn genauso wie ich es Wegschicken kann, kann ich es auch wieder zu mir holen, indem ich es einlade. Wie ich das Pferd einlade, habe ich in der Jungpferdereihe in Folge 1: Fokus, Führen und freies Folgen erklärt.

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7 Kommentare zu Wegschicken vs. Scheuchen: Was ist gemeint?

  1. Liebe Akki,

    wow, so schnell gleich ein ganzer Artikel für meine Frage. Vielen Dank. Du hast es wirklich verständlich erklärt. Da steckt eine ganze Menge mehr dahinter als ich dachte. Gut dass ich jetzt bescheid weiß, ich will ja möglichst viel richtig machen. Fehler kommen von alleine noch genug fürchte ich.

    Großes Lob nochmal an deine Seite. Du hast ein gutes Gespür dafür wie und was man erklären muss, dass es verständlich wird.

    Liebe Grüße
    Susi

    • Liebe Susi,

      aber gern! Die Frage haben bestimmt viele, daher gleich ein Artikel zu dem Thema. Schön, wenn ich dir helfen konnte.
      Viel Spaß beim Üben!

      Ganz liebe Grüße,
      Akki

  2. Wie schön! Ich mag den Artikel sehr. Ich finde, dass man zu oft Pferde sieht die gescheucht werden, das kann nicht Sinn der Sache sein. Ich finde deine Schritt für SChritt Erklärung ohnehin ganz plausibel. Genauso arbeiten wir (meine Stute und ich) auch miteinander 🙂 Ganz liebe Grüße, Petra

    • Hi Petra,

      danke dir :). Ich versuche immer ganz genau zu erklären. Schön, dass es in diesem Artikel wieder geklappt hat :).

      Viele Grüße an dein hübsches Stütchen!

  3. Hallo Akki,

    da muss ich dann jetzt doch aber blöd fragen:
    Ich habe einen Herr Ferd von der hartnäckigen Sorte. „Warum sollt ich mich bewegen, wenn ich doch genauso gut hier stehen kann?“, inklusive knatschig kucken und beleidigt sein. Freundliche Bewegungsaufforderungen ignoriert er genauso gekonnt, wie Druckaufbau (in seine Richtung lehnen, laut werden, „fuchteln“). Teilweise muss ich echt sauer werden und mächtig schimpfen, dass er vorwärts geht.
    Er versteht mich, das seh ich ihm an, er will aber nicht. Was macht man mit so einem Brocken? 🙁
    Ich möchte ja MIT ihm arbeiten und ihn nicht wegscheuchen müssen, weil er von allein nicht mitmachen mag, aber anders geht er nicht vorwärts… Tu mir echt schwer hierbei.

    Ganz liebe Grüße, Madeline mit ihrem „motivierten“ Herr Ferd Nino.

    • Hi Madeline,

      die Antwort ist ganz einfach, und aus deinem Text erkenne ich, dass du sie eigentlich auch längst weißt. Dein Pferd fragt dich, wie viel Druck du aufwenden kannst und wie ernst du deine Aufforderung wirklich meinst. Du baust also leichten Druck auf und verstärkst. Nino rührt sich nicht. Du verstärkst weiter (nicht laut werden, das wirkt eher wie Inkompetenz, bleib ganz ruhig), sogar so weit bis ihm das Seil „um die Ohren fliegt“ (z.B. beim Rückwärts touchierst du ihn mit dem Seil an der Brust). Das kann soweit gehen, dass das Seil ziemlich heftig gegen dein Pferd fliegt. Sobald er weicht, hörst du SOFORT auf und lobst.
      Wenn du diese Vorgehensweise mehrmals wiederholst, wird er auf immer weniger Druck weichen, weil er weiß, dass du es bis zum Letzten durchziehst. Auch wenn es zu Beginn schwierig ist, tu es. Wir haben immer im Kopf, dass wir dem Pferd weh tun. Natürlich ist das fliegende Seil nicht angenehm, aber Nino fragt danach: er könnte ja auch bei weniger Druck direkt gehen! Wenn du den Druck direkt wegnimmst, sobald er deine Anfrage beantwortet, hast du aus Pferdesicht alles richtig gemacht.
      Wenn du Bedenken hast, hau dir das Seil mal gegen die Beine. Erst leicht, dann mit steigendem Druck. Ab wann würdest du weichen? Tut das tatsächlich weh, oder zwiebelt es nur ein wenig? Bekommst du davon blaue Flecken, oder kannst du sogar ziemlichen Schwung ertragen? Dann spürst du am eigenen Körper, was das Seil bedeutet und wie du reagieren würdest.

      Viel Spaß beim Austesten – und liebe Grüße an Herrn Ferd Nino. Sag ihm, wenn es nicht klappt, komm ich vorbei 😉

      Deine Akki

  4. Ich hab’s getan!!!
    Heute hab ich mich mit Herrn Pony in den Roundpen gewagt. Ich hatte ganz schön Bammel, dass ich vergesse wie die Schritte gehen (ich werd so leicht vergesslich, wenn ich unter Druck stehe und dann unsicher). Daher hab ich mir auch nicht viel vorgenommen: Nur Wegschicken und Herholen und ein bisschen abklopfen und mal vorsichtig ein bisschen Seil werfen (mein Bodenarbeitsseil ist noch nicht da, da hatte ich nur den Führstrick).
    Lange Rede kurzer Sinn: Herr Pony war toll. Er hat es mir leicht gemacht. Eigentlich wollte er gar nicht weg. Er wäre brav die ganze Zeit in der Mitte neben mir stehen geblieben. Also hab ich ihn weggeschickt. Ich musste schon bis Schritt 4 gehen, also Seil schwingen, und er hat auch erst mal ein bisschen dumm geschaut, was ich jetzt eigentlich will. Aber dann ist er mal mit irritiertem Blick losgelaufen. Witzigerweise musste ich ihn gar nicht groß laufen lassen, denn er hat sein Ohr recht schnell zu mir gestellt und ich dachte, da muss ich ja gleich mal reagieren und hab mich umgedreht und er sich nach innen und als ich loslief kam er gleich hinterher. Es war so einfach, dass ich schon fast irritiert war. Ich hab ihn dann nochmal weggeschickt, da hab ich den Fehler gemacht, dass ich meinen Zeigearm zu nah hatte, da wusste er nicht was ich will, ich denke ich hab ihm da den Weg abgeschnitten. Als ich den Arm weiter weggebogen hab, ging es wunderbar.
    In die andere Richtung hab ich es auch drei mal gemacht und hab ihn beim Schicken sogar in den Trab bekommen (ich bin sehr stolz). Ein mal war er bei meinem Umdrehen unkonzentriert und hat rausgeschaut statt zu kommen, da hab ich ihn wieder geschickt, danach hat es zwei mal super geklappt. Ich war fassungslos. Ich hab dann gleich aufgehört, denn ich dachte wenn er das so toll macht, dann muss ich das honorieren. Wir haben dann noch abgeäpfelt, ich vornedran und er ist mir dann immer brav hinterher gelaufen und hat die Äpfel inspiziert. Das war sehr schön.
    Sorry, dass ich so lang berichte, aber ich bin so begeistert!!!
    Demnächst muss ich das natürlich noch ausbauen, wobei er auch das Seil in kleinster Weise gruselig fand, mal sehen was ich als nächstes mache. Was ein cooler Herr Pony!

    Leider konnte ich seine Aufmerksamkeit auf dem Spaziergang danach anfangs nicht so ganz bei mir halten. Dazu ist auf dem Hof und in der Natur einfach zu viel los. Es hat mindestens 20 Minuten gedauert, bis sich seine Aufregung so weit gelegt hat, dass er auf mich geachtet hat. Aber dann war es toll, weil wir Schritt in allen möglichen Tempi laufen konnten, die ich vorgegeben habe. Es war toll!

    Akki, hast du mir noch einen Tipp. Ich lobe gerne mit Stimme. Lobst du bei der Bodenarbeit auch immer wenn was gut gemacht wurde? Oder ist das Nachlassen des Drucks genug Lob?

    Ach ja und dann wollte ich noch wissen: Manche Leute bewegen ihr Pferd ja indem sie es im Roundpen laufen lassen (also scheuchen? schicken?), so dass es dabei Energie verbraucht.
    Ich frage mich jetzt, was wäre wenn ich das mache. Wenn ich Herrn Pony also schicke und immer weiter laufen lasse, ohne mich umzudrehen, obwohl er mir seine Aufmerksamkeit anbietet, ist er dann nicht irritiert. Ist das dann keine gute Art mein Pferd mal zu bewegen, also z.B. wenn ich vor einem Ausritt ein bisschen Energie ablassen möchte?

    So jetzt aber genug.
    Dir liebe Akki nochmals danke. Deine Erklärung war Gold wert.

    Susi

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