Folge 4: Nachgiebigkeit

Chick und Sito haben in der letzten Woche nicht viel Zeit zum Üben gehabt. Trotzdem klappen die Aufgaben gut. Beide Pferde haben nicht vergessen, was wir in den letzten Trainingsstunden erarbeitet haben und zeigen freudig was sie können.

Nachgiebigkeit: Sinn der Übungen

Als Reiter habe ich bestimmte Anforderungen an mein Pferd. Zum einen möchte ich mich von meinen Pferd tragen lassen. Dafür muss die Größe und das Gebäude des Pferdes zu meiner Körpergröße und meinem Gewicht passen. Zum anderen möchte ich mein Pferd lenken können. Es soll bestimmte Aufgaben für mich erledigen, während ich im Sattel sitze: rechts und links herum gehen, sich rückwärts schicken lassen, einzelne Körperteile bewegen (Vor-, Mittel-, Hinterhand), usw. Um diese Aufgaben zu lernen, muss es verstehen, dass ich mit verschiedenen Methoden auf seinen Körper einwirke. Ich benutze mein Gewicht bzw. die Gewichtsverlagerung, meine Schenkel und meine Hände mit den Zügeln.

Den Einsatz der Schenkel haben wir am Boden schon ein bisschen vorbereitet: Durch die Übungen „Weichen auf Druck“. Bisher haben wir nur mit Stick und Seil leichten Druck ausgeübt. Das Pferd lernt sehr schnell, dass der Schenkel ähnlich funktioniert und dass der Druck hier auch Weichen bedeutet.

Die Gewichtshilfe habe ich noch nicht erklärt. Sie kommt erst zum Einsatz, wenn ich im Sattel sitze.

Die Zügelhilfe ist unser heutiges Thema. Ich möchte erreichen, dass die Pferde lernen, Druck am Kopf zu unterscheiden und ihm zu weichen.

Die Zügelhilfe: Einwirkung auf den Kopf des Pferdes

Vertikale Biegung

Ich starte mit der vertikalen Biegung. Die bedeutet, dass das Pferd den Kopf nach oben oder unten bewegen soll. Die dazu benötigte Hilfe kann ich entweder direkt im Genick ausüben (nur für die Richtung „unten“) oder über das Halfter erklären. Da ich immer beide Richtungen (oben und unten) kombiniert erkläre, arbeite ich über das Knotenhalfter.

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Nur das Eigengewicht meiner Finger übt Druck auf das Halfter aus. Da Pferd muss erst lernen, dass es dem Druck weichen soll. Da ist Geduld gefragt!

Zu Beginn lege ich meinen Finger auf den Diamantknoten des Knotenhalfters. Ohne zu drücken liegt nun das Gewicht meines Fingers (!) im Halfter. Diese kleine Information reicht meist schon aus, um eine Reaktion des Pferdes hervorzurufen. Die meisten Pferde zucken mit dem Maul, ziehen die Nüstern hoch oder schließen die Augen. Solange das Pferd eine Reaktion zeigt, arbeitet es an der Lösungsfindung. So lange ich diese Reaktionen beobachten kann, ändere ich meine Einwirkung nicht. Erst wenn mein Pferd sich nicht mehr mit meiner Anforderung beschäftigt erhöhe ich den Druck in kleinen Stufen.

Stufe 1: der Finger liegt auf dem Diamantknoten
Stufe 2: das Eigengewicht meiner Hand wird auf das Halfter übertragen (kein Drücken auf das Halfter!)
Stufe 3: das Eigengewicht meines Armes wird auf das Halfter übertragen
Stufe 4: leichter Druck aus dem Handgelenk

Die Stufen werden nur dann erhöht, wenn mein Pferd nicht mehr antwortet! Solange ich eine Reaktion sehe bleibe ich auf meiner Einwirkungs-Stufe. Auch das Bewegen der Füße ist eine Antwort, wenn auch nicht die richtige. Wenn ich hier mit mehr Druck reagieren würde, wäre das äußerst unfair! Ein Vergleich: Ich lerne mit einem Kind Mathe. Es knobelt an einer Aufgabe und gibt mir verschiedene Antworten. Solange es rätselt, gebe ich ihm keine neuen Aufgaben, sondern warte ob es auf die Lösung kommt. Ich unterstütze mit lobenden Worten, dass es sich so bemüht. Aber ich schreie es auf keinen Fall an, dass es sich mal beeilen soll mit der Lösung! Dies wäre im übertragenden Sinn das unfaire Erhöhen des Drucks auf das Halfter.

Chick und Sito machen beide ihre Sache sehr gut. Sie versuchen herauszufinden, was die leichte Einwirkung im Nacken bedeuten könnte. Sobald das Pferd den Kopf nur im Ansatz absenkt, löse ich die Hand und lobe ausgiebig. Schnell haben die Beiden verstanden worum es geht und üben fleißig mit mir. Ich wiederhole das Kopf-Senken mehrmals hintereinander, bis die Pferde locker den Kopf fallen lassen.

Immer, wenn der Kopf gesenkt wird, lasse ich den Pferden eine kurze Ruhepause.  Dann wird die Übung umgekehrt: Kopf heben. Dafür hebe ich das Seil am Kopf und am Ohr entlang nach oben. Auch hier ziehe ich nicht, sondern führe das locker hängende Seil. Die Bewegung veranlasst die Pferde, den Kopf wieder anzuheben. Das ist meist sehr leicht, weil der erhöhte Kopf den Pferden mehr behagt als die tiefe Stellung. Unten müssen sie dem Menschen vollkommen vertrauen, dass er sie vor Gefahren schützt. Mit erhobenem Kopf können sie selbst nach möglichen Gefahrenquellen Ausschau halten.

Laterale Biegung

Wenn die vertikale Biegung funktioniert gehe ich über zur lateralen Biegung. Die laterale Biegung ist die seitliche Bewegung des Pferdekopfes rechts oder links zur Schulter hin. Mit Hilfe der lateralen Biegung kann ich das Pferd später in jeder Situation bremsen, daher heißt diese Biegung auch die „eingebaute Notbremse“.

Ich stelle mich auf Höhe der Schulter neben das Pferd und bewege das Seil, welches im Halfter befestigt ist, leicht in meine Richtung. Die Bewegung am Halfter (zu Beginn nur über das sich bewegende Seil) erzeugt eine Reaktion des Pferdes. Ganz wichtig: nicht am Seil ziehen, sondern nur die Bewegung zu mir hin soll dem Pferd zeigen, dass eine Aufgabe gestellt ist. Erst wenn das Pferd keine Reaktion mehr zeigt (zuckende Nüstern oder Maulwinkel, Bewegungen aller Art) gehe ich zur nächsten Stufe. Sobald das Pferd seinen Kopf in meine Richtung bewegt lasse ich das Seil los und lobe überschwänglich. Das wird mehrmals wiederholt, immer nur auf einer Seite bis das Pferd die Übung verstanden hat. Dann wechsle ich die Seite, das ganze wiederholt sich. Da bei Pferden die rechte und die linke Gehirnhälfte nur wenig miteinander verknüpft sind, stellt der Seitenwechsel das Pferd wieder vor eine völlig neue Aufgabe. Wenn die andere Seite auch sitzt frage ich die Übung von mir weg, d.h. das Seil läuft über die Schulter auf der von mir abgewandten Seite des Pferdes und das Pferd soll seinen Kopf von mir weg in Richtung Seildruck bewegen.

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Sito zeigt, dass er dem Druck von mir weg lateral nachgeben kann – und die Übung hält, obwohl ich schon lange losgelassen habe 🙂

Chick und Sito kennen das Nachgeben auf die sanfte Anfrage, daher wissen sie schnell was sie tun sollen. Das Nachgeben zu mir hin fällt beiden sehr leicht, von mir weg müssen sie erst überlegen. Aber beide finden die richtige Lösung. Jetzt muss das noch geübt werden!

Nachgeben im Genick

Zuletzt möchte ich, dass die Pferde im Genick nachgeben. Wenn ich später im Sattel sitze werden die Zügel auf den Kopf einwirken. Wenn das Pferd eine Einwirkung auf der Nase spürt, soll es später im Genick nachgeben (an den Zügel). Auch das wird zuerst vom Boden erklärt, damit die Pferde es später leichter haben.

Ich fasse mit der Hand um die Schlaufe unten am Knotenhalfter, den kleinen Finger Richtung Pferdemaul (also die Hand umgedreht: Daumen zum Boden, kleiner Finger zum Pferd). Zuerst schließe ich nur den Zeigefinger um die Schlaufe, dann den Mittelfinger bis das Pferd auf das enger werdende Halfter eine Reaktion zeigt. Sobald das Pferd im Genick nachgibt lasse ich los. Bei fehlender Reaktion schließe ich meine Hand langsam weiter, bis die nach unten zeigende Faust das untere Halfterende umfasst (auch hier: arbeiten in Stufen). Dann ist der Druck auf die Nase am höchsten, daher langsam steigern und das Pferd nicht überfallen! Zu Beginn der Übung reicht mir eine ganz kleine Reaktion im Genick, später soll mein Pferd die Nase Richtung Brust bewegen und die Stellung halten. Natürlich heißt das nicht, dass es sich in die Brust beißen soll: eine leichte „Genickstellung“ ist völlig ausreichend. Wenn diese Übung klappt, lasse ich die Pferde mit einer sanften Handbewegung nach vorne aus der Stellung heraus.

Diese Übung fällt den beiden Jungpferden am schwierigsten. Sito versteht schnell, dass sein Genick nachgeben soll, aber er kommt ins Nicken und schlägt leicht mit dem Kopf. Daher muss ich hier länger üben, damit er versteht dass er die Stellung halten soll. Chick sitzt den Druck zuerst aus und reagiert gar nicht. Bei der höchsten Druckstufe nach einigen Minuten kräuselt er die Nase und weicht nach hinten. Dabei gibt er (eher versehentlich) im Genick nach, worauf ich sofort loslasse. Chick hat in diesem Moment zwar nicht verstanden, was er richtig gemacht hat. Aber er konnte erkennen, dass er sich aus dem Druck selbst befreien kann. Beim Üben probiert er nun schneller, welche Bewegung die von ihm Gewünschte ist und findet die Lösung. Jetzt heißt es auch hier dranbleiben: er nach 1000 Wiederholungen wird die Reaktion zum Automatismus. Daher Üben, Üben, Üben :).

Folge 5: Richtungskontrolle am Boden

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