Reitschule 2.0
Nach Angaben der FN sind in Deutschland ca. 7.685 Reit- und Fahrvereine dem Dachverband angeschlossen. Dazu kommen 3.985 weitere Pferdebetriebe. Außerdem gibt es noch viele kleine Anbieter von Reitunterricht, wie z.B. private Reitlehrer, Hobby- und Ferienhöfe. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Anbieter von Reitunterricht im Durchschnitt 5 Schulpferde hat (und damit liege ich wahrscheinlich an der unteren Kante), gibt es ca. 60.000 Schulpferde in Deutschland.
Wie sieht der Reitunterricht in den meisten klassischen Reitställen aus? Die Schulpferde leben in Boxen. Sie werden täglich ca. 3-4h im Unterricht geritten. Die Reiter befinden sich in der Ausbildung: sie lernen die korrekten Bahnfiguren, Sitz, Zügel- und Schenkelhilfen. Doch was bedeutet das für die Schulpferde?
Um den Schülern sichere Pferde bieten zu können werden die Pferde meistens ausgebunden. Die lieben Vertreter ihrer Rasse werden zum Longenunterricht eingesetzt, um den Einsteigern die ersten Schritte mit dem Pferd zu vermitteln. Auch hier finden Ausbinder oft Anwendung. Nach dem Unterricht werden die Pferde trockengeführt und kommen dann wieder in ihre Boxen. Die Reitschüler, die über die Longenstunden hinaus sind, reiten in der Abteilung. Das „freie“ Reiten bedeutet, dass sie die Zügel in die Hand bekommen. Das Pferd wird entweder von seinem Vordermann in die richtige Richtung geführt, da die meisten Pferde einfach hintereinander weglaufen. Sollte nicht in der Abteilung, sondern einzeln geritten werden, finden meistens die Zügel Einsatz, um die Richtung zu bestimmen.
Ich denke an meinen Reitunterricht zurück. Mir wurde gesagt, ich möge die Schenkel einsetzen, das Gewicht verlagern, mit dem Schambein mitschwingen und das Brustblatt heben. Welcher Jugendlicher kennt das Schambein oder sein Brustblatt??? Ich wusste damals nur eins: ich wollte reiten, und wenn das Pferd in die falsche Richtung ging, dann lenkte ich mit dem Zügel gegen und hielt auch mein Bein am Pferd, um es zu begrenzen.
Was ist daran falsch? So ziemlich alles. Damals wusste ich NICHTS über das Lebewesen Pferd. Selbst nach einem Basispass und dem Reitabzeichen hatte ich keine Ahnung. Ein Pferd war zum Reiten da. Der Begriff Herdentier war mir bekannt, ich konnte ihn aber nicht auf die Situation der Pferde anwenden. Dass es keine Herdengemeinschaft gab, weil die Tiere in ihren Boxen voneinander getrennt waren und kein Sozialverhalten leben konnten. Dass wir mit Sperriemen ritten und den Pferden die Luft nahmen. Dass die Ausbinder verhinderten, dass die Tiere sich umsehen und orientieren konnten. Dass das Ziehen an den Zügeln Schmerzen verursachte. Dass einige Pferde sogar Wunden von den eingesetzten Sporen hatten (und diese Reiter bewunderte ich damals, schließlich waren es ihre eigenen Pferde).
Glücklicherweise gibt es auch Alternativen: die Natural Kids Ranch in Ronnenberg lehrt erst die Begegnung mit dem Pferd vom Boden aus, erst später geht es auf den Pferderücken. Außerdem leben die Pferde in der Gemeinschaft. Auch das Hippolini-Konzept führt Kinder spielerisch und mit viel wichtigem Basiswissen über den Partner Pferd an das Tier heran. Es geht um viel Bewegung und soziales Miteinander. Die Equilino Reitschule hält ihre Schulpferde in Offenstall-Haltung und startet mit den Kindern am Boden, nicht an der Longe. Und auch die Welshponys Hennef legen großen Wert auf die Herdenhaltung ihrer Ponys und den natürlichen Umgang. Und das sind nur Beispiele, sicherlich gibt es noch viel mehr verantwortungsvolle Reitställe.
Es bleibt zu hoffen, dass noch viel mehr Anbieter von Reitunterricht umdenken und sich „pro Schulpferd“ umorganisieren. Ein Schulpferd bringt viel Freude für Kinder und ihre Eltern. Es sollte selbst auch ein schönes Leben neben der Arbeit haben. Die oben genannten Beispielbetriebe zeigen deutlich auf, dass weder Boxenhaltung noch Ausbinder nötig sind, um Kindern das Reiten beizubringen. Ändern können dies auch die Reitschüler (und natürlich deren Eltern): sie müssen darauf achten, dass die Kinder nicht einfach irgendwo reiten lernen. Denn wenn die Nachfrage etwas verlangt, wird auch das Angebot sich anpassen müssen!
Hi,
ich habe genau die gleichen Reitverein-Erfahrungen gemacht. Reitdrill ohne Wissen über das Wesen Pferd zu vermitteln. Es will in meinen Kopf nicht rein, dass es häufig immer noch genauso gehandhabt wird wie vor Jahrzehnten, dass die Menschen noch immer nicht verstanden haben, dass sie erst die Bedürfnisse des Pferdes erfüllen müssen, bevor sie an die eigenen denken. Auf dass es künftig immer mehr Menschen geben wird, die umdenken!
Hi Nadja, danke für deinen Kommentar. Ich freue mich immer, wenn jemand genauso denkt wie ich!