WTF is „Achtsamkeit“?
Es gibt einen neuen Trend in der Online-Pferdewelt: Das Thema Achtsamkeit. Aber nicht nur bei den Pferden, auch bei den Coaches, ob Lifestyle oder Job, bei den Psychologie- und sogar den Foodbloggern – Achtsamkeit ist in.
Wisst ihr was? Es geht mir gehörig auf die Nerven!
Achtsamkeit und Entschleunigung als Trend
Von allen Seiten werde ich beschallt, ich soll entschleunigen. Ich beziehe das jetzt mal nur aufs Pferd: Ich soll ganz bei mir sein, wenn ich zu meinem Pferd gehe. Soll auf meine innere Stimme hören, mich ganz auf mein Pferd einlassen und „Achtsam“ mit mir und dem Pferd umgehen. Die Gefühle und Schwingungen des Pferdes erspüren und ruhig und voller Empathie mit ihm umgehen.
Wunsch trifft Realität
Seien wir doch mal ehrlich. Nach einem 8 stündigen Arbeitstag kommen wir beim Pferd an. Kaum sind wir durchs Hoftor, brüllt uns schon der Hofbesitzer entgegen, dass „der Gaul“ schon wieder durch die Litze gegangen / das Holz in der Box angefressen / die Herde aufgemischt / ein anderes Pferd gezwickt hat. Schulternzuckend (meine Güte, es ist ein Pferd, das verhält sich halt wie ein Pferd) gehen wir zum Auslöser des Sturms der Empörung, der uns entspannt auf dem Paddock entgegen kommt. Wir schnappen uns das Untier (das völlig brav mittrottet) und gehen zum Putzplatz. Dort steht schon eine weitere Pferdebesitzerin, die uns fröhlich vollplappert. Wir putzen entspannt unser Pferd, lassen das Gespräch mit der Stallnachbarin dahinplätschern und gehen dann zur Halle.
Bis zu diesem Punkt war ich kein einziges Mal „achtsam“. Ich habe mir erlaubt, entspannt zu sein. Mein Hobby ein Hobby sein zu lassen und nicht jede Regung meines Pferdes zu analysieren. Mein Pferd durfte beim Putzen nach einer Fliege schlagen und mit dem Pferd am nächsten Anbinder per Ohrenspiel kommunizieren, ohne dass ich das gesehen oder analysiert habe. Ich habe uns beiden die Freiheit gegeben, einfach mal zu sein… ich als Mensch, mein Pferd als Pferd.
Natürlich ist es wünschenswert, dass sich jeder mit seinem Pferd ausgiebig beschäftigt. Für jedes Pferd ist es schön, wenn sein Mensch nicht nur zum Reiten in den Stall kommt, sondern auch andere Beschäftigungsarten kennt. Es geht nicht immer um Leistung oder Weiterentwicklung, sondern auch um gemeinsamen Spaß und Entspannung. Ich freue mich für jeden, der die Zeit und die Muße hat, sich einfach auf die Weide zu setzen und sein Pferd zu beobachten. Aber das macht eben nicht jedem gleich viel Freude.
Was will denn eigentlich ICH?
Ich gehöre zu den Menschen, die am meisten Freude mit dem Pferd empfinden, wenn wir uns gemeinsam entwickeln und etwas lernen. Ich liebe es, wenn ein Pferd die Traversale unter dem Sattel oder die Piaffe an der Hand erlernt und während des Prozesses dann z.B. Seitengänge voller Begeisterung auch mal von allein ausführt. Bin ich dabei Achtsam und halte inne, um auf meine innere Stimme und die Wünsche meines Pferdes zu hören? Kaum ein Pferd wird vorher zu mir gesagt haben: „Heute möchte ich mal etwas Kompliziertes lernen.“ Nein – die Freude entsteht daraus, ein Hindernis zu überwinden. Etwas zu erreichen, wovon weder Pferd noch Reiter wussten, dass sei es gemeinsam erarbeiten können. Dann entwickeln sich Stolz und Freude an der Arbeit.
Ich möchte niemandem seinen Fokus auf Achtsamkeit absprechen. Als Kölner ist mein Grundmotto: „Jeder Jeck ist anders“ und meine Eltern sagten immer „Jeder nach seiner Façon“. Für mich ist es einfach kein Thema. Wenn ich beim Pferd bin, mich mit dem Pferd beschäftige und seinen Fokus fordere, liegt auch mein Fokus immer beim Pferd. Vielleicht ist aus diesem Grund auch die Allgegenwärtigkeit des Themas für mich so anstrengend, weil diese Art des Umgangs für mich völlig logisch ist.
Wie seht ihr das? Wie ist eure Einstellung zum Thema „Achtsamkeit“? Gibt es auch für euch ein Thema, was euch in der Pferdewelt manchmal auf die Nerven geht?
Ich bin gespannt auf eure Kommentare!
Ihr habt sicher gemerkt: ganz ernst gemeint ist meine „Anti-Achtsamkeits-Haltung“ nicht ;).
Wer sich wirklich mit dem Thema auseinandersetzten will, dem lege ich folgende Blogs ans Herz:
Mein Faible: Ebook und Onlinekurs zu 4 Wochen Achtsamkeit
Tash Horseexperience: Achtsamkeit als Schlüssel zur Pferdefreundschaft
Nadja von Pferdeverstehen mit Achtung, Achtsamkeit
Ride on: Was haben wir erreicht
My Natural Dressage mit „Leben und leben lassen“
PferdeSchule mit dem Blick auf Selbstfürsorge
Dein gratis Exemplar des E-Books zu Pferdeerziehung:
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